Das Gute: Mit Fremden ins Gespräch kommen

13.08.2013 18:55

Wer kennt das nicht, man bewegt sich durch diese große Stadt, durch großes Menschenmassen, aber man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. In Berlin ist es zumindest so, dass eine Fahrt im öffentlichen Verkehrsmittel einer Fahrt in einem Aufzug gleicht: Nicht gucken, nicht lächeln, am allerbesten nicht atmen. Von daher ist eine Fahrt durch Berlin nie 'nett', sondern höchstens traurig, weil man die Obdachlosen sieht und sich entweder ihre Lebensgeschichte denken kann oder anhören muss. Man spricht nicht mit Fremden. Das tut man einfach nicht.

Gestern jedoch sprach mich ein junger Mann, etwa in meinem Alter, in der U-Bahn an und fragte mich nach dem Weg beziehungsweise der Zugverbindung, die er wählen müsste. Wie es der Zufall so wollte kannte ich natürlich nur 'meinen' Weg, der jedoch an dem besagten Bahnhof vorbeiführte. Ich kenne mich in Berlin nicht so gut aus, aber eine Faustregel habe ich gelernt: "S-Bahn (fast) immer schneller als U-Bahn." Ich nahm ihn also mit auf meinen Weg, auch wenn ich mich lieber in meine innere Welt verkrochen hätte, aber ich wollte nicht so sein. Auf dem Weg zur S-Bahn fragte er mich, was ich hier täte und auch, ob ich aus Hessen käme? Damit hatte er, ohne wirklich etwas dafür zu können oder dazu beigetragen zu haben, schon ein Stein im Brett. Es ist so nett und tut so gut, wenn man 'erkannt' wird in dieser großen, fremden Stadt, die Berlin irgendwie nicht ist und irgendwie immer sein wird. Wir fuhren zusammen S-Bahn, unterhielten uns über dies und das, übers Arbeiten, Weggehen, die Menschen hier, dort und in China. Ich habe mir sagen lassen, dass in China richtig Leben im öffentlichen Nahverkehr ist, dass dort gelacht und geredet wird. Wir haben darüber nachgedacht, warum das hier wohl anders ist? Warum das in Berlin anders ist als in kleinen Städten? Natürlich - in kleinen Städten gibt es nicht unbedingt U- und S-Bahn, aber ja Vergleichbares. Ich glaube, dass man als Mensch in einer so wahnsinnig großen Stadt ständig 'Sozialkontakte' aufgezwungen bekommt, dass man körperlich viel näher an so vielen Fremden ist, als man es wäre, hätte man die Wahl. Vielleicht schreckt das ab. Vielleicht stört das. Hinzu kommt die Angst, die in uns steckt. Weggucken, nicht auffallen, aktive Konfliktvermeidung. Es geht uns doch allen so, das ist ganz natürlich. Vielleicht sollten wir uns das einfach zugestehen, das Nicht-Wollen, das Zurückziehen und das Angsthaben - und etwas großzügiger mit unseren eigenen Wünschen, Bedürfnissen und so genannten Macken umgehen! Jedenfalls kam der Bahnhof, zu dem er wollte, irgendwann. Als gebürtiger Berliner wusste er wirklich nicht, wie er fahren musste, er "fahre  eben immer mit dem Auto". Das ist schon verrückt. Als die S-Bahn anhielt, fragte er mich, wie ich eigentlich heiße. "Sophie", sagte ich. Er reichte mir die Hand, sagte mir, dass er Daniel heiße, dass man sich vielleicht mal sehe und bedankte sich, dass ich ihm geholfen habe. Manchmal ist es eben auch so in Berlin. Manchmal teilt man sein Leben für kurze Zeit mit Fremden. Die Wege treffen sich, die Wege trennen sich. Jeder nimmt etwas mit, ohne Verpflichtung, einfach so ein Ins-Gespräch-kommen mit einem fremden Menschen.

 

(c) Berlin-Barfuss